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Der Fall Collini - Ferdinand von Schirach

Ann-Christin hat mir das Buch „Der Fall Collini“ von Ferdinand Schirach mit der Empfehlung: „Das muss man gelesen haben“ mit nach Hause gegeben. Ich war sehr gespannt was mich erwarten würde und fing gleich im Auto an zu lesen. Ferdinand von Schirach hat mit seinem Roman in nur 208 Seiten ein Bewusstsein für Änderungsprozesse in der Rechtsthematik geschaffen. Und wie immer empfiehlt sich „Wer liest ist klar im Vorteil“.
Der Arbeiter F. Collini ermordet den hochangesehenen Industriellen Hans Meyer auf brutale Art und Weise. Danach legt er die Waffe nieder und wartet auf seine Verhaftung.
Ohne Einblick in die Geschehnisse, übernimmt der angehende Strafverteidiger Caspar Leinen das Mandat von F. Collini. Leinen weiß zu diesem Zeitpunkt nicht, um wen es sich bei dem Toten handelt. Johanna Meyer und er sind seit ihrer Kindheit miteinander verbunden und Leinen ist sich unschlüssig, ob er den Fall aus privaten Gründen ablehnen sollte. Johanna Meyer ist nämlich die Enkelin des Erschossenen und Leinen war der beste Freund ihres toten Bruders. Hinzu kommt, dass die beiden zu Beginn des Prozesses eine kurze Affäre haben. Man kann sich Caspars Gewissensbisse vorstellen. Er entscheidet sich jedoch die Verteidigung von Collini weiter zu verfolgen und handelt dabei immer im besten Interesse seines Mandanten. Doch weder Leinen noch die Staatsanwaltschaft und die Polizei können Collini ein Geständnis entlocken und so bleibt das Motiv der Tat vorerst ungeklärt. Leinen glaubt den Fall bereits verloren, da keine neuen Erkenntnisse auftauchen, will aber auch nicht aufgeben.  
Bis zu dieser Stelle habe ich mich ehrlich gelangweilt und hätte niemals mit einer derart spannenden Wendung gerechnet. Durch ein Gespräch mit seinem Vater bemerkt Caspar Leinen, dass es sich bei der Tatwaffe nicht um eine x-beliebige handelt, sondern um eine Feuerwaffe die von NS-Soldaten benutzt wurde. Der Strafverteidiger Leinen recherchiert und findet heraus, dass Hans Meyer ein junger SS Offizier war, der Vergeltungsmaßnahmen an Partisanen befehligte aber nicht selbst durchführte. Collinis Vater war einer von den Männern, die festgenommen wurden, sich in einer Schlange aufstellen mussten und einer nach dem anderen erschossen in einen Graben fielen. Bevor Fabrizio Collini die Nachricht über den Tod seines Vaters erreicht, wird er Zeuge der Vergewaltigung seiner Schwester durch den SS Offizier Meyer, bei der sie auch ermordet wird.
Was für eine Wendung? Nun ja, es geht noch weiter.
Der Anwalt Mattinger, engagiert von Meyers Enkelin, die als Nebenklägerin auftritt, bringt vor Gericht das Argument, dass F. Collini aus eigener Rache heraus gehandelt hat und ein Rechtsweg gegen Hans Meyer in diesem Fall von F. Collini hätte angestrebt werden müssen. Tatsächlich hat Collini bereits vor vielen Jahren eine Strafanzeige gegen Hans Meyer gestellt. Das Verfahren wurde damals eingestellt.
Ja, es wurde eingestellt. Warum? Die NS Verbrechen von damals waren aufgrund einer Gesetzesänderung in den 60iger Jahren verjährt. Die Schuldfrage wurde aufgrund der verjährten Frist nie festgestellt. Nie festgestellt bedeutet, dass es nie zum Verfahren gegen Hans Meyer gekommen ist.
Nach Ende des Buches stellte ich mir zwei Fragen, die dem Leser unweigerlich durch den Kopf gehen:
1.        Gab es diese Gesetzesänderung für die Verjährung von NS Verbrechen wirklich?   
2.        Wie kann in einem Rechtsstaat die dogmatische Rechtsauffassung derart zum Nachteil verändert und gleichzeitig durch den Bundestag gewunken werden?
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich vor dem Buch keine Ahnung von dieser gravierenden Gesetzesänderung in den 60er Jahren hatte. Dieser Beitrag soll nicht nur eine Anregung zum Lesen des Buches sein, sondern viel mehr eine Aufforderung sich mit unserer Rechtsgeschichte auseinander zu setzen.
Ziel der Strafrechtsreform war es Bagatelltatbestände zu entkriminalisieren und nicht eine Verjährung von NS-Verbrechen.
Stattdessen wurde in Art. 1 Ziffer 6 EGOWi (Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten) eine Bestimmung aufgenommen, die den Paragraph 50 (2) StGB dahingehend veränderte, dass Teilnehmer an NS Verbrechen, also Offiziere die zb. nicht selbst den Abzug getätigt haben, kein Prozess gemacht werden konnte. Die deutsche Rechtsauffassung unterscheidet zwischen Mord und Totschlag und weiters zwischen Täter und Gehilfe. Während ein Mord lebenslänglich bedeutet, verjährt Totschlag nach einer bestimmten Anzahl von Jahren. Durch die Einführung des Artikel 1 Ziffer 6 EGOWi wurden Mordgehilfen nun nicht mehr zu einer lebenslänglichen Haftstrafe, sondern im gleichen Ausmaß wie ein Totschläger verurteilt. 
Seht euch den Wortlaut des Gesetzes vor und nach der Änderung an und verzweifelt nicht, wenn ihr ihn mehrmals lesen müsst. (Musste ich auch!)
Es wird auch das Dreher-Gesetz genannt, da Eduard Dreher maßgeblich an der Gestaltung beteiligt war. Sicher hatte Dreher einen großen Anteil an der Gesetzesänderung, allerdings wird ein Gesetz nicht von heute auf morgen eingesetzt. Es bedarf Prüfverfahren und weiterer Instanzen. Den Verantwortlichen kam diese Änderung wohl gerade recht! 
Lg Manu 📚
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Kommentare: 2
  • #1

    Petra (Mittwoch, 31 Juli 2019 18:26)

    Ich finde deinen Beitrag ganz toll, gut recherchiert. Mach weiter so �

  • #2

    Isabella (Freitag, 09 August 2019 13:11)

    Bin stolz auf dich, wie du den Blog gemeinsam mit AC aufgezogen hast. Tolle Rezension, macht Lust das Buch auch zu lesen!